Wirtschaft

"Unsicherheit ist Gift" Wirtschaft kritisiert Jamaika-Abbruch

Die Investoren am Aktienmarkt dürften die geplatzten Verhandlungen nach Ansicht von Experten nur kurz stören.

Die Investoren am Aktienmarkt dürften die geplatzten Verhandlungen nach Ansicht von Experten nur kurz stören.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nachdem die FDP die Jamaika-Sondierungen für gescheitert erklärt, zeigen sich Wirtschaftsverbände enttäuscht, der Handelsverband fordert eine zügige Regierungsbildung. Dass das Jamaika-Aus die deutsche Wirtschaft ausbremst, wird trotzdem nicht erwartet.

Die Nachricht vom Scheitern der Sondierungen zeigt an den Finanzmärkten erste Reaktionen: In Fernost lastete sie am Morgen auf dem Euro. Die Gemeinschaftswährung fiel in Tokio zum Yen auf ein Zweimonatstief.

"Mit der FDP hat ausgerechnet eine wirtschaftsfreundliche Partei die Jamaika-Verhandlungen platzen lassen. Die Investoren am Aktienmarkt dürfte dies aber nur kurz stören", kommentierte Aktienexperte Benjamin Feingold von Feingold Research. "Der Dax dürfte sich kurz schütteln und danach zur Tagesordnung übergehen. Die wesentliche Politik für die Finanzmärkte wird in Frankfurt gemacht mit dem billigen Geld der EZB und ebenso wesentlich in Washington mit der US-Notenbank", unterstrich er.

In Wirtschaftskreisen hierzulande kam der Abbruch der Sondierungsgespräche durch die FDP nicht gut an: "Für die deutsche Wirtschaft ist das Scheitern der Sondierungsgespräche eine Enttäuschung", sagte DIHK–Präsident Eric Schweitzer. Deutsche Unternehmen müssten sich nun auf eine möglicherweise längere Phase der Unsicherheit einstellen.

Auch das deutsche Handwerk kritisierte den Schritt: "Damit haben die sondierenden Parteien Deutschland einen Bärendienst erwiesen", sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. "Es wirft kein gutes Licht auf die Parteien und leistet jenen Kräften Vorschub, die die Funktionsfähigkeit unseres politischen Systems infrage stellen."

"Schlechtes Signal für die Wirtschaft"

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat den Abbruch der Verhandlungen bedauert und zügige Neuwahlen gefordert. "Das Scheitern der Jamaika-Sondierungen ist ein schlechtes Signal für Deutschland und für die Wirtschaft", erklärte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. "Wir brauchen jetzt schnelle Entscheidungen und möglichst zeitnah eine neue Bundesregierung", forderte er.

In Zeiten großer Herausforderungen wie der Digitalisierung, der Globalisierung und des Flüchtlingszuzugs müsse Deutschland politisch handlungsfähig sein, meinte Genth. Die demokratischen Parteien stünden in Verantwortung, eine gemeinsame Vision für das Land zu entwerfen.

"Aus Sicht des Handels geht es die nächsten Jahre darum, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts und den Wohlstand seiner Bürger dauerhaft zu sichern", erklärte Genth. Dabei spiele die Stärkung des Konsums und der Kaufkraft eine wichtige Rolle. "Der Konsum ist ein wesentlicher Stabilitätsanker für die Konjunktur. Kleine und mittlere Einkommen müssen entlastet werden, um die Binnenkonjunktur dauerhaft zu stabilisieren."

"Scheitern kann für Unternehmen kein Schock sein"

Dennoch wird das Scheitern der Jamaika-Sondierungen die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer nicht ausbremsen. Zwar sei die "politische Unsicherheit in Deutschland so groß wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik", kommentierte Krämer. "Trotzdem dürfte die deutsche Wirtschaft weiter kräftig wachsen. Denn angefacht durch die lockere EZB-Geldpolitik besitzt sie so viel Schwung, dass sich die zahlreichen, politisch zu lösenden Probleme Deutschlands vorerst nicht bemerkbar machen werden."

"Natürlich ist Unsicherheit Gift für die Wirtschaft", meinte Krämer. "Aber das Scheitern der Jamaika-Koalition kann für die Unternehmen kein Schock sein, nachdem sich die kontroversen Verhandlungen unter den Augen der Öffentlichkeit quälende vier Wochen hinzogen." Die Commerzbank rechne weiterhin damit, "dass beim Wachstum im kommenden Jahr eine Zwei vor dem Komma steht".

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht nach dem Scheitern der Sondierungen Chancen für einen zweiten Anlauf. "Noch sind nicht alle Stricke gerissen. Die Jamaika-Parteien müssen einen neuen Anlauf machen, denn sie wissen: Für keine von ihnen würden Neuwahlen Erfolg versprechen", argumentierte der DIW-Präsident.

Deutschland brauche eine handlungsfähige Regierung mit klaren Zielen und Visionen. Die Parteien müssten bei neuen Gesprächen die wichtigen Herausforderungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik angehen. Fratzscher nannte unter anderem Forschung und Bildung, Digitalisierung, die Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt sowie die Reform Europas und des Euro.

FDP-Chef Christian Lindner hatte am späten Sonntagabend die Sondierungen mit CDU, CSU und Grünen über Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition für gescheitert erklärt. Er hatte das mit fehlendem Vertrauen begründet: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Er erntete dafür Unverständnis und Kritik von sowohl von Unions-Seite als auch von den Grünen.

Quelle: ntv.de, bad/dpa/DJ

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