Wirtschaft

"Shit happens"? Die Autoindustrie und ihre "irren" Fehler

Der Abgasskandal zeigt, wie gravierend die Folgen von Vorstandsfehlern ausfallen können. Dennoch ist die Geschichte der Autoindustrie voll davon, manche irrer als die anderen. Stichwort: "Hochzeit im Himmel".

Da Führungskräfte in der Automobilindustrie in der Regel auch nur Menschen sind, ist es normal, dass sie ebenfalls irren. Da nach "Murphys Gesetz" zudem "alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird", wäre das an sich nicht weiter erwähnenswert. Als Ökonom wundert man sich dennoch, dass Irrtümer und strategische Fehlentscheidungen gerade in den höchsten Führungsetagen der Autokonzerne so gehäuft vorkommen.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Zudem meist mit gravierenden finanziellen und belegschaftsbezogenen Folgen. So, als ob hier nicht nur "Murphys Gesetz", sondern auch das sogenannte Peter-Prinzip gilt, wonach Karrieren von Mitarbeitern erst dann enden, wenn sie die höchste Stufe der Inkompetenz erreicht haben. Die Automobilindustrie bietet dafür bestes Anschauungsmaterial. Und das seit Jahrzehnten!

Es beginnt mit VW

Die erste Bekanntschaft damit habe ich Anfang der 1970er direkt im ersten Berufsjahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den "Fünf Weisen" (Sachverständigenrat) gemacht. Mitten in der ersten Ölkrise und der sich abzeichnenden tiefen globalen Rezession musste ich mit ungläubigem Erstaunen miterleben, wie der Volkswagenkonzern, offensichtlich völlig unbeleckt von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen, spektakulär 7000 neue Mitarbeiter einstellte - um sie dann vier Monate später, als der Autoabsatz weltweit erwartungsgemäß einbrach, unter hohen Kosten wieder freizustellen.

Ähnliches hat sich übrigens im gleichen Konzern 2015 wiederholt, als die Manipulationen an der Dieselelektronik in den USA ruchbar wurden - und das einen Skandal in der gesamten Autoindustrie lostrat, unter deren Folgewirkungen die Branche und der Dieselmotor noch heute leiden.

Nur zur Erinnerung: Um an einer Handvoll Dieselautos im großen US-Automarkt Kosten pro Fahrzeug von 300 US-Dollar zu sparen, die einen Betrieb nach US-Abgasvorschriften erfordert hätte, entwickelte man eine Manipulation an der Fahrdynamik der Dieselautos, die die gesetzlichen Vorschriften nur auf dem Prüfstand erfüllten. Sonst nicht. Mit der Folge, dass der VW-Konzern bis heute Strafzahlungen in der Größenordnung von fast 25 Milliarden Euro zu schultern hat. Und mit ihm die Aktionäre und Belegschaften - nur eben nicht diejenigen, die für das Debakel verantwortlich sind. "Honi soi qui mal y pense", denk sich da der frankophile Mitteleuropäer. Wo liegt da die kapitalistische Ratio?  

"Trial and error" bei BMW

Allerdings heißt das nicht, dass deutsche Premium-Hersteller vor strategischen Fehlern gefeit gewesen wären. Mitnichten! BMW und Daimler liefern dafür beste Beispiele. So haben die Münchener in den frühen 1990er-Jahren mit dem Versuch, zusammen mit Rolls Royce in der BRR (Triebwerksbau) an die weiß-blauen Wurzeln des Unternehmens zurückzukehren, eine totale Bauchlandung hingelegt.

Ähnlich wie schon zuvor der Versuch, Bootsmotoren zu bauen, ein kompletter Schiffbruch war. Am verlustreichsten erwies sich jedoch die unter dem Gesichtspunkt Markendiversität strategisch richtige Entscheidung, den völlig maroden britischen Autobauer Rover zu übernehmen. Damit scheiterte BMW kläglich.

Daimlers "Hochzeit im Himmel"

Der Münchner Misserfolg hat den Daimler-Vorstand angestachelt - oder zumindest nicht daran gehindert, die noch erheblich verlustreicheren Übernahmen des japanischen Autobauers Mitsubishi und des US-Herstellers Chrysler zu wagen. Durch die "Hochzeit im Himmel" gelang es den Daimler-Vorständen zwar, die Unternehmensbezüge und Boni auf US-Niveau zu schrauben. Gleichzeitig trudelte der Konzern finanziell an den Rand des Abgrunds. Wie sagte Vorstand Bernhard damals so treffend: "Shit happens!" Dem ist nicht zu widersprechen.

Aber schauen wir auch mal über den großen Teich in die USA und zur dortigen Autoindustrie. Dort gelang es den vormals "Big Three" im Lauf der Jahrzehnte, eine marktbeherrschende Stellung mit über 70 Prozent Marktanteil peu á peu an die Wand zu fahren, also an die Konkurrenz aus Japan, Südkorea und Deutschland zu verlieren. Heute sind noch etwa 40 Prozent übrig. Der Wahnsinn in Tüten!

Chapeau, GM!

Vielleicht waren da die gleichen geheimnisvollen Kräfte am Werk, die GM dazu veranlassten, über vier Jahrzehnte ihre deutsche Tochter Opel mit über 20 des Deutschen meist nicht mächtigen Vorstandschefs zu versehen - denen es dann erfolgreich gelang, das Unternehmen in den letzten Jahrzehnten ständig und ohne Unterbrechung in den roten Zahlen zu halten. Kein Wunder, dass die Mutter General Motors - trotz Absatz von neun Millionen Autos weltweit - in der Finanzkrise Insolvenz anmelden musste. Chapeau!

Und noch ein Stück aus dem Tollhaus USA: Als nach dem Terror von 9/11 in der Bush-Ära die große Absatzflaute in der US-amerikanischen Autoindustrie eintrat, kam es zwischen den "Big Three" zur großen Rabattschlacht um Marktanteilsgewinne. Offensichtlich wurden die deutschen Lehrbücher über Marktformen und Wettbewerb, in den haarklein beschrieben steht, dass in einem engen Oligopol keiner durch aggressive Rabattaktionen einen Blumentopf gewinnen kann, nicht ins Englische übersetzt.

Diese Liste der Beispiele ließe sich noch verlängern, aber bereits diese Aufzählung macht deutlich: Der Grundsatz "Irren ist menschlich" wird bei den Vorständen und Lenkern der Autoindustrie nur allzu gern beherzigt!

Quelle: ntv.de

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