Wirtschaft

Türkische Lira im freien Fall Des Sultans neue Kleider

Nicht einmal die Notenbank traut sich noch, dem türkischen Präsidenten Erdogan zu widersprechen.

Nicht einmal die Notenbank traut sich noch, dem türkischen Präsidenten Erdogan zu widersprechen.

(Foto: picture alliance / Pool Presdent)

Die Inflation explodiert, die türkische Lira schmiert ab. Doch die Zentralbank riskiert lieber den Crash, als die größte Sünde zu begehen, die es heute am Bosporus gibt: Präsident Erdogan die Wahrheit zu sagen, selbst wenn er Unsinn redet.

Abstruse Theorien hatte Recep Tayyip Erdogan schon viele. Doch mit seiner jüngsten Verbaleskapade übertrifft der türkische Präsident sich selbst. In einem wirren Interview stellt Erdogan den wichtigsten Mechanismus der Geldpolitik auf den Kopf: "Je niedriger der Zins ist, desto niedriger wird die Inflation ausfallen", behauptet der türkische Präsident, obwohl das Gegenteil der Fall ist: Niedrigere Zinsen kurbeln die Teuerung an, weil über Kredite mehr Geld in Umlauf gelangt. Das heizt die Wirtschaft an.

Man könnte die verwirrenden Äußerungen als Lapsus oder Wissenslücke abtun. Doch hinter Erdogans Zins-Tirade steckt kühle Taktik. Bei den vorgezogenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Juni will er sich im Amt bestätigen lassen. Die Wirtschaft darf bis dahin nicht noch tiefer in die Krise rutschen. Der Beginn der neuen Präsidialverfassung soll Erdogans Triumph der Macht werden. Erdogan braucht niedrigere Zinsen. Und dafür schreckt er nicht davor zurück, die Türkei in den Abgrund zu reden.

Die türkische Lira ist im freien Fall. Ein Commerzbank-Experte sieht längst ein "deutliches Symptom einer Währungskrise": Allein heute ist die Landeswährung um rund drei Prozent zum Dollar und zum Euro abgerutscht. Aus Angst vor der Inflation, die auf über zehn Prozent geklettert ist, fliehen die Investoren aus der Türkei. Die türkische Notenbank hat schon Ende April reagiert und die Zinsen deutlich angehoben. Doch weitere Zinsschritte trauen sich die Währungshüter bislang nicht, auch wenn sie dringend nötig wären.

Seit dem gescheiterten Putschversuch und den Verhaftungswellen gegen Oppositionelle, Journalisten und Aktivisten gilt in der Türkei: Wer dem Präsidenten widerspricht, riskiert Gefängnis - selbst wenn der Mann an der Spitze des Staates ökonomischen Unsinn redet. Niemand traut sich, dem Kaiser zu sagen, dass er keine Kleider trägt. Und so wundert es nicht, dass sogar die Experten der Zentralbank lieber einen Crash riskieren, als Erdogan zu widersprechen. Der politische Autoritarismus in Ankara erreicht damit eine neue Stufe. Erdogans Willkür bedroht nicht mehr nur Freiheit und Demokratie, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität in der Türkei.

Die Notenbank soll Erdogan die Stirn bieten

US-Dollar / Türkische Lira
US-Dollar / Türkische Lira 32,34

Erdogan verbreitet nicht nur wirre Wirtschaftstheorien, er droht den Zentralbankern auch unverhohlen. Nach seinem Wahlsieg will er sie an die kurze Leine legen. Die Bevölkerung würde schließlich ihn für die Entscheidungen der Währungshüter verantwortlich machen, sagte er im Bloomberg-Interview. Die Zentralbank bleibe zwar auch nach der Umstellung auf das Präsidialsystem in der Türkei unabhängig. Doch die Währungshüter könnten die vom Staatsoberhaupt ausgehenden Signale nicht ignorieren, sobald das neue System etabliert sei.

Und diese Signale sind eindeutig: Die Türkei müsse die Zinsen senken, weil sie "Mutter und Vater allen Übels" und Grund für die Inflation seien, hatte Erdogan nur kurz vor dem Interview gewettert. Die Ratingagentur Fitch warnte deshalb am Dienstag, in der Türkei sei die Unabhängigkeit der Zentralbank in Gefahr. Das wirbelte die Finanzmärkte noch mehr durcheinander.

Die ersten Investoren fordern die Währungshüter nun auf, Erdogan die Stirn zu bieten. Der stellvertretende Premierminister, der Finanzminister und Zentralbankchef müssten "zum Wohle des Landes ihre Jobs riskieren" und "Erdogan sagen, dass er bei den Zinsen falsch liegt", twitterte Türkei-Experte Timothy Ash von der Vermögensverwaltung Bluebay aus London. "Es ist immer noch Zeit, die Dinge zu stabilisieren, aber die Zinsen müssen angehoben werden."

Die Zentralbank müsse in den nächsten Stunden eine Notfallsitzung abhalten, warnte auch Rabobank-Analyst Piotr Mayts in der britischen "Financial Times". "Die türkischen Entscheidungsträger können eine so schnelle Abwertung der Währung nicht viel länger tolerieren." Im Basar von Istanbul weigerten sich Devisenhändler angesichts des Kursturzes sogar, Dollar zu verkaufen.

Erdogan sucht einen Sündenbock

Handeln die Währungshüter nicht, riskieren sie nicht nur ihre Glaubwürdigkeit. Sondern auch, dass Erdogan sie selbst zum Sündenbock für die Krise macht, so wie er es schon mit den Finanzmärkten tut. Es würden "Spiele mit unserer Wirtschaft" gespielt, wetterte Erdogan schon im April. "Ich rufe denjenigen zu, die unsere Wirtschaft angreifen: Sie werden keinen Erfolg haben." Ministerpräsident Binali Yildirim hat den Druck auf die Lira sogar mit dem gescheiterten Putsch verglichen.

Dabei hat Erdogan selbst die Türkei in diese brenzlige Lage manövriert. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, auch wenn die Wirtschaft kräftig wächst. Die Inflation steigt immer weiter. Das Verbrauchervertrauen schwindet. Und die Türkei importiert weiterhin viel mehr als sie exportiert. Deswegen ziehen sich Investoren zunehmend aus dem Land zurück und die Währung stürzt ab.

Immerhin gibt Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci inzwischen zu, dass es "unerwünschte Schwankungen" bei der türkischen Lira gibt. Im selben Atemzug versichert er, dass die "zuständigen Institutionen die nötigen Instrumente" hätten, um das Ungleichgewicht zu beenden. Der einfachste Weg zur Besserung: Präsident Erdogan könnte zur Abwechslung die Wahrheit über wirtschaftliche Zusammenhänge sagen.

Quelle: ntv.de

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