Wirtschaft

Kosten Krebs-Klagen Milliarden? Glyphosat ist Gift für Bayer

Das Pflanzengift Glyphosat könnte Bayer Milliarden kosten. Tausende Anleger klagen auf Schadenersatz.

Das Pflanzengift Glyphosat könnte Bayer Milliarden kosten. Tausende Anleger klagen auf Schadenersatz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Unkrautkiller Glyphosat wird für Bayer immer mehr zum Wert-Vernichter: Weltweit häufen sich die Schadenersatzklagen gegen das womöglich krebserregende Pflanzenschutzmittel. Der Druck zwingt den Chemieriesen in die Offensive.

Dass da womöglich etwas auf seinen Konzern zukommt, hätte Bayer-Chef Werner Baumann ahnen können. "Wir erwarten, dass sich unser Risikoprofil durch den Erwerb und die Integration des Geschäfts von Monsanto verändert", warnte der Chemieriese im vergangenen Jahr im Geschäftsbericht. Bayer sorgte sich zwar um Finanzrisiken, ausbleibende Einsparungen und den Weggang wichtiger Mitarbeiter.

Doch auf juristische Risiken aus der Übernahme wies der Konzern nicht hin. Dabei hatte Monsanto damals schon rund 290 Millionen Dollar für Gerichtsprozesse zurückgestellt. Eine Unterbehörde der WHO hatte das Unkrautgift Glyphosat, das Monsanto weltweit verkauft, 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Zwei Jahre später liefen bereits mehr als 3100 Klagen gegen Monsanto.

Eine von ihnen hat Bayer nun an der Börse kalt erwischt. Ein Gericht in San Francisco sprach Dewayne Johnson, der als Hausmeister jahrelang Glyphosat-Pestizide von Monsanto versprüht hatte, vor zwei Wochen rund 290 Millionen Dollar Schmerzensgeld zu. Johnson ist Mitte 40, dreifacher Vater, unheilbar an Krebs erkrankt und hat nur noch wenige Monate zu leben. Die Schuld daran gibt er Monsanto. Und weil der US-Agrarkonzern seit Juni nun zu Bayer gehört, traf das Glyphosat-Urteil die Aktie mit voller Wucht: Der Konzern verlor in wenigen Tagen fast ein Fünftel seines Börsenwerts.

Bayer bleibt nun nur die Flucht nach vorn. Nach jahrelanger Prüfung hatte die EU-Kommission die Übernahme, die beide Firmen schon 2016 angekündigt hatten, im März endlich abgenickt. "Zum damaligen Zeitpunkt" sei "der Umfang der Klagen, mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen, noch gar nicht absehbar" gewesen, verteidigt Bayer-Chef Baumann im "Handelsblatt" die Übernahme. 63 Milliarden Dollar ist der Deal schwer, der größte Zukauf eines deutschen Konzerns im Ausland überhaupt. Bayer wollte damit "erheblichen Wert" schaffen. Bisher ist die teure Wette nicht aufgegangen. Der Chemieriese hat sich schwer kalkulierbare Risiken ins Haus geholt.

Vom Profitbringer zum Millionenrisiko

Dabei müsste Glyphosat eigentlich ein Selbstläufer sein. Das Mittel ist der weltweit meistverkaufte Unkrautvernichter. Drei Milliarden Dollar Umsatz macht Monsanto jährlich damit. Nach der Verschmelzung dürften bei Bayer etwa zwischen 10 und 20 Prozent des Umsatzes vom Geschäft mit Ackergiften wie Glyphosat abhängen. Kein Wunder, dass der Konzern alles tun will, um das Verfahren in Kalifornien zu drehen.

"Wir halten das Urteil für falsch und werden uns entschieden dagegen verteidigen", kündigte Baumann in einer Telefonschalte mit Analysten an. Der Bayer-Chef gab sich betont gelassen: "Das Urteil einer Jury in einem Fall ändert nicht die Bewertung der Zulassungsbehörden." Zudem habe es keine direkte Auswirkung auf andere Fälle, meint Baumann.  

Von denen gibt es allerdings eine ganze Menge: 8000 Klagen sind laut Baumann inzwischen wegen Glyphosat an US-Gerichten anhängig. Das Schadenspotential ist riesig. Der nächste Fall wird bereits im Oktober in St. Louis, am Monsanto-Heimatsitz, verhandelt.

Bei seiner Verteidigung setzt Bayer auf empirische Belege. 800 Studien hätten gezeigt, dass Glyphosat keinen Krebs hervorrufe, beteuert Baumann. Weltweit würden Bauern Glyphosat seit mehr als 40 Jahren anwenden. "Wir sind zuversichtlich, dass sich die Wissenschaft am Ende in diesen Fällen durchsetzen wird." Die Frage ist, ob Emotionen am Ende vor Gericht nicht eine größere Rolle spielen werden.

Böse Überraschung für Bayer?

Denn Jury-Mitglieder sind keine Wissenschaftler. Und rechtlich genügt es, wenn sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit nachweisen lässt, dass es im konkreten Fall einen Zusammenhang zwischen der Krebserkrankung der Kläger und Glyphosat gibt. Ein französischer Bauer mit Prostatakrebs klagt bereits mit ganz ähnlichen Argumenten wie US-Hausmeister Johnson gegen Monsanto: Er habe das Mittel jahrzehntelang versprüht, dann sei er krank geworden. Johnsons Anwalt Brent Wisner sagte der "FAZ", er habe mehrere hundert weitere Anfragen erhalten.

Für die Klägerseite reicht es womöglich, Zweifel an Monsantos Ehrlichkeit zu säen. Und für die gibt es reichlich Anhaltspunkte. Der Konzern habe systematisch Wissenschaftler eingeschüchtert und Beweise für das Krebsrisiko von Glyphosat unter den Teppich gekehrt, behauptete Wisner vor Gericht. Als Beleg präsentierte er interne Monsanto-Mails. In einer fragt eine Managerin in Reaktion auf eine kritische Studie: "Wie bekämpfen wir das?" Bayer müsse sich bei dem Prozess deshalb auf "böse Überraschungen" einstellen, droht Wisner. Denn bisher habe er die brisantesten Dokumente nicht einmal verwendet.

Bayer geht trotzdem optimistisch an das Glyphosat-Problem heran. Der Konzern wolle zunächst keine Rückstellungen für etwaigen Schadenersatz bilden, sondern nur für die Anwaltskosten der Prozesse, sagt Baumann. Sie alleine dürften sich auf einige hundert Millionen Dollar belaufen, eine ähnliche Größenordnung, die Monsanto schon in seine Bilanz eingestellt hat. Insofern dürfte sich also erstmal nicht viel ändern, wenn Bayer in zwei Wochen erstmals Quartalszahlen nach der Integration präsentiert. Die Unsicherheit dürfte aber noch lange über dem Konzern hängen. Allein die Berufung gegen das Urteil aus Kalifornien wird laut dem Bayer-Chef ein Jahr oder länger dauern.

Quelle: ntv.de

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