Wirtschaft

"Das ist ein gefährliches Spiel" Angst vor Türkei-Krise erfasst die Börsen

Wohin steuert die Türkei unter Erdogan? "Das Land läuft Gefahr, auf eine Pleite zuzusteuern."

Wohin steuert die Türkei unter Erdogan? "Das Land läuft Gefahr, auf eine Pleite zuzusteuern."

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Ausverkauf bei der türkischen Lira entwickelt sich mehr und mehr zur Bedrohung für das europäische Finanzsystem. Börsianer fürchten Ausfälle im Bankensektor. Die Aktien großer Geldhäuser geraten unter Druck. EZB-Spezialisten prüfen die Bosporus-Verbindungen.

Im europäischen Aktienhandel kommt vor dem Wochenende plötzlich Unruhe auf: Der dramatische Verfall der türkischen Lira nährt unter Anlegern die Furcht vor einem Überspringen der Krise am Bosporus auf den Bankensektor. An den Börsen in Paris, Madrid, Mailand und Frankfurt rutschten die Kurse der Großbanken kräftig ab.

Der Lira-Absturz in der Türkei könnte Geldhäuser mit einem starken Türkei-Geschäft unter Druck bringen, lautet die Befürchtung. Einem Bericht der "Financial Times" zufolge schauen sich die EZB-Bankenaufseher deswegen bereits sämtliche Türkei-Verbindungen europäischer Geldhäuser näher an. "Es schwingt die Sorge mit, dass die europäischen Banken ihr Geld aus der Türkei nicht wiedersehen werden", meinte ein Marktbeobachter.

Im Blickfeld stehen dabei zunächst vor allem die Großbank BBVA aus Spanien, die italienische UniCredit und die französische BNP Paribas, deren Aktienkurse im Verlauf jeweils rund vier Prozent nachgeben. Anleger reagierten allerdings auch bei anderen Banken auffallend nervös. Die starken Kursverluste ziehen sich quer durch den gesamte europäischen Bankensektor.

In Deutschland zählen die Aktien der Deutschen Bank zu den größten Verlierern im Leitindex. Mit einem Abschlag von knapp 4,3 Prozent auf 10,28 Euro liegen die Titel gegen Mittag weiter am unteren Ende im Dax. Die Aktien der Commerzbank geraten ebenfalls in den Sog und geben 2,5 Prozent ab. Die Lira taumelt seit Tagen von einem Tief zum nächsten. Seit dem frühen Morgen wirkt sich der Währungsverfall auch negativ auf den Euro aus.

"Investoren verkaufen im großen Stil türkische Aktien und Anleihen und sorgen damit für immer mehr Abwertungsdruck", sagte Analyst Clemens Bundschuh von der Landesbank LBBW. Börsianer spielten bereits einen Zahlungsausfall der Türkei durch.

Erdogans Schwiegersohn am Steuer

"Seit geraumer Zeit haben Investoren die sich entwickelnde Währungskrise in der Türkei als lokales Problem eingestuft, aber das beschleunigte Tempo des Absturzes nährt die Sorgen um das Türkei-Engagement europäischer Banken", fasste Marktanalyst Michael Hewson von CMC Markets die Stimmungslage an den Börsen zusammen.

Die Aussicht auf ein neues Wirtschaftsmodell lindere diese Sorgen nicht, wie Hewson betont, - vor allem nicht "vor dem Hintergrund eines Präsidenten, der göttlichen Beistand erfleht und seine Leute gegen den Rest der Welt stellt."

Das neue Programm zu Stabilisierung der türkischen Wirtschaft will der türkische Wirtschafts- und Finanzminister Berat Albayrak - Erdogans Schwiegersohn - noch vor dem Wochenende vorstellen. Sollten Albayraks Pläne enttäuschen, müssen Anleger wohl mit weiteren Fluchtbewegungen internationaler Investoren rechnen.

"Bisher zeigt sich Präsident Erdogan von der Reaktion der Finanzmärkte unbeeindruckt", erklärte Commerzbank-Analyst Lutz Karpowitz. "Das ist ein gefährliches Spiel: Je später er nachgibt, desto größer der Schaden, denn ohne Politikwechsel dürfte die Lage weiter eskalieren. Dann wären auch Kapitalverkehrskontrollen wahrscheinlich. Wer derzeit nicht auf ein Einlenken von Erdogan setzen mag, sollte eine weitere massive Lira-Schwäche einplanen."

Zentralbank in Erdogans Fesseln

"Die Türkei steckt in großen Schwierigkeiten", bestätigte Ökonom Carsten Hesse von der Berenberg Bank. "Nach einem kreditgetriebenen Boom weisen der Anstieg der Inflation und der dramatische Währungsverfall darauf hin, dass das Land nun Gefahr läuft, auf eine Pleite zuzusteuern. Neben den auf der Hand liegenden Risiken für die Türkei selbst, wirft das die Frage auf, wie stark die Eurozone davon beeinträchtigt würde."

Eine akut bedrohliche Lage sieht auch Devisenexperte Manuel Andersch von der BayernLB: "Die Lira scheint nun im freien Fall zu sein. Sofern sich die türkische Zentralbank jetzt nicht von den politischen Fesseln Erdogans löst und den Leitzins drastisch anhebt, ist eine Zahlungsbilanzkrise unausweichlich."

"Die angespannte Situation könnte durch ein beherztes Vorgehen der türkischen Notenbank abgemildert werden", sagte Thomas Gitzel, Ökonom bei der VP Bank. "Nötig wäre eine kräftige Zinserhöhung, die zu erkennen gäbe, dass die Währungshüter am Bosporus gewillt sind, dem Verfall der heimischen Währung nicht tatenlos zuzusehen. Doch genau hierbei mangelte es in den vergangenen Tagen und Wochen."

Quelle: ntv.de, mmo/rts

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