Wirtschaft

2018: Boom, Blase, Crash? "Bitcoin ist nicht innovativ genug"

Wer mit Kryptowährungen zu tun hat, braucht starke Nerven - aber auch etwas Know-how.

Wer mit Kryptowährungen zu tun hat, braucht starke Nerven - aber auch etwas Know-how.

(Foto: REUTERS)

Bitcoin ist nichts für schwache Nerven: Kurskapriolen, Hackerangriffe, technische Grenzen. Das Jahr 2017 ist dafür glimpflich verlaufen. Doch wie fit ist die Cyberwährung für die Zukunft? n-tv.de spricht mit dem Krypto-Experten Alex de Vries über Chancen und Schwächen des Systems.

n-tv.de: Lassen wir die vergangenen Monate Revue passieren: Der Preis für einen Bitcoin stieg erst vor Kurzem auf über 20.000 Dollar. Danach rauschte er runter gen 10.000 Dollar. Kritiker warnen bei jeder Gelegenheit vor dem großen Crash. Wie erklären Sie diese Preisschwankungen?

Alex de Vries: Das sind wirklich interessante Zeiten. Die jüngste Rally ging vor allem aufs Konto des beginnenden Future-Handels an den Börsen in Chicago. Der Bitcoin-Markt ist relativ klein. Die Folge ist, dass kleine Orders große Auswirkungen auf den Preis haben. Auf den Höchstständen haben Anleger dann Gewinne mitgenommen, was wiederum große Ausschläge nach sich gezogen hat. Ob es einen Crash gibt oder nicht, lässt sich nicht voraussagen.

Die Bank of America hatte eigentlich prognostiziert, dass der Future-Handel den Bitcoin-Preis stabilisieren wird.

Grundsätzlich stimmt das. Wenn man nun mit Futures auf fallende Bitcoin-Kurse wetten kann, übt das Preisdruck nach unten aus. Der Kurs steigt nicht mehr so leicht 20 Prozent innerhalb eines Tages. Das ist gut, weil die hohe Volatilität Unternehmen davon abhält, in Bitcoin zu investieren. Die Spiele-Plattform Steam zum Beispiel nimmt wegen der enormen Preisschwankung keine Bitcoins mehr an. Das ist unter dem Gesichtspunkt Nützlichkeit keine gute Entwicklung. Beim Preis kommen also mehrere Faktoren zusammen.

Nicht nur der Preis, auch Sicherheit ist ein großes Thema bei Bitcoin. Es gibt regelmäßig Hackerangriffe auf Börsen. Kürzlich wurden umgerechnet 70 Millionen Dollar von einer Plattform namens NiceHash gestohlen. Wie konnte das passieren?

Hier wurden private Passwörter geklaut. Wenn Ihnen jemand die PIN klaut, kann er auch Geld von Ihrem Bankkonto abheben. Im vergangenen Jahr wurden 120.000 Bitcoins von Bitfinex gestohlen. Die hatten sogar Mehrfach-Passwörter. Mehrere Parteien mussten sich gemeinsam für eine Transaktion einloggen. Das Dumme war nur, einige hatten ihren Zugang automatisiert, sie öffneten sich automatisch, als sich ein Fremder einloggte. Das ist nicht sehr professionell, passiert aber häufiger.

Der niederländische Wirtschaftsexperte und Betreiber des Blogs "Digiconomist" Alex de Vries ist einer der führenden Kryptowährungs-Experten.

Der niederländische Wirtschaftsexperte und Betreiber des Blogs "Digiconomist" Alex de Vries ist einer der führenden Kryptowährungs-Experten.

NiceHash hat alle großen Bitcoin-Börsen über diesen Angriff informiert, um das Geld zurückzubekommen. Kann das klappen?

Du kannst zwar nicht sehen, wer hinter einer Adresse auf einer Blockchain steht, aber die Adresse ist bekannt - wie die Seriennummer auf einem Geldschein. Wenn jemand das gestohlene Geld zu Barem machen will, gibt er sich in der realen Welt zu erkennen. Wobei nicht jede Bitcoin-Wechselstelle Alarm schlägt. Die russische Plattform BTC-e, die im August von den US-Behörden wegen Geldwäsche geschlossen wurde, war dafür bekannt, keine Fragen nach der Herkunft zu stellen.

Zum ersten Mal sorgte auch der nur wenige Monate alte Bitcoin-Ableger Bitcoin Cash für Negativ-Schlagzeilen. An der Börse Coinbase gab es ominöse Kursausschläge. Wie erklären Sie sich das?

Darüber ist letztlich nicht viel bekannt. Coinbase hat seit der Abspaltung von Bitcoin im August daran gearbeitet, auch Bitcoin Cash handelbar zu machen, weil die Kunden ja plötzlich beide Kryptowährungen in ihren digitalen Geldbörsen hatten. Jeder, der einen Bitcoin in seinem Wallet hatte, hielt danach einen Bitcoin und eine Münze in Bitcoin Cash. Offenbar gab es ein Informationsleck. Irgendjemand hat den Support von Bitcoin Cash ausgeplappert. Coinbase ist eine der größten Börsenplattformen - und ein Zahlungsdienstleister. Wird eine neue Krypto-Münze in den Handel aufgenommen, bedeutet das einen riesigen Boost für den Preis der neuen Münze. Wenn hier jemand den Handelsstart verraten hat und es sich damit um Insiderhandel handelt, wäre das illegal.

Wegen des Ansturms der Anleger gerät Bitcoin immer wieder an die technische Kapazitätsgrenze. Deshalb gab es im Sommer diese Abspaltung von Bitcoin Cash. Wie unterscheiden sich die beiden Münzen?

Es sind zwei verschiedene Netzwerke. Sie haben zwar denselben Ursprung, sind aber nicht kompatibel. Die Entwickler haben damit die Transaktionsgeschwindigkeit erhöht. Die Kapazität eines Bitcoin-Blocks ist auf ein Megabyte alle zehn Minuten begrenzt, er kann drei bis vier Transaktionen pro Sekunde verarbeiten. Weil das recht langsam ist, sind die Leute bereit, eine Gebühr dafür zu zahlen, dass ihre Transaktionen Priorität haben. Aber dies ist ganz im Sinne der Erfinder, weil Bitcoin sehr energieintensiv ist. Es ist unter anderem der Preis für den Energiekonsum der Zukunft. Bitcoin Cash ist schneller, günstiger - und damit auch für viel mehr Leute interessant.

Gibt es irgendwann eine weitere Abspaltung?

Die Community hat offenbar die Nase voll davon. Eine Gabelung Mitte November wurde mangels Interesse abgesagt. Für User ist diese Umstellung relativ kompliziert und verwirrend. Dabei ist dieses "Forking" eigentlich eine natürliche Art und Weise, das Netzwerk zu verbessern. Man kann "gabeln" oder eine weitere Ebene auf die Blockchain oben draufsetzen. Bitcoin versucht jetzt Letzteres. Die Entwickler arbeiten jetzt an einem sogenannten Lightning Network. Sie lösen permanent irgendwelche komplizierten Probleme. Diese Lösungen sind nur nicht immer userfreundlich.

Bitcoin kennen inzwischen viele, die Blockchain-Technologie dahinter aber nur wenige. Dabei ist das die eigentliche digitale Revolution. Wenn Bitcoin crashen sollte, wäre das dann das Ende der Blockchain?

Die Preisrally beim Bitcoin ist Werbung für die Blockchain. Also wäre es sicherlich nicht gut, wenn das Kryptowährungssystem zusammenbrechen würde. Das ändert aber nichts daran, dass Unternehmen an Tausenden Blockchain-Anwendungen arbeiten. Geld ist nur ein Anwendungsfall von vielen.

Lässt sich die Uhr zurückdrehen?

Viele Unternehmen werden sich das wahrscheinlich im Augenblick fragen. Nur: Blockchain funktioniert nicht von allein. Diese Technologie setzt Zusammenarbeit voraus. Es ist ein Ökosystem - mit Kunden, mit Zulieferern, mit Wettbewerbern. Hier müssen gemeinsame Standards eingehalten werden. Das ist für Unternehmen die große Herausforderung. Blockchain ist sehr zeitaufwändig und deshalb nicht für alle geeignet.

Sie haben einen Energie-Index fürs Bitcoin-Schürfen entwickelt. Wie schlimm ist der Schaden, den Kryptowährungen der Umwelt zufügen?

Wenn Sie meine Vorhersage für heute angeschaut haben, dann haben Sie gesehen, dass das ganze Bitcoin-Netzwerk so viel Energie verbraucht wie ganz Dänemark. Bei lediglich 400.000 Transaktionen pro Tag bedeutet das umgerechnet 250 Kilowattstunden pro Aktion. Ihr eigener Haushalt braucht wahrscheinlich ein paar Wochen, um diese Menge zu verbrauchen. Dazu kommt, dass die meisten Schürfer in China sind, wo hauptsächlich Kohleenergie genutzt wird. Die CO2-Bilanz von Bitcoin ist also ein Desaster. Ein durchschnittlicher dänischer Haushalt hinterlässt 800 Kilogramm Kohlendioxid im Jahr. Das sind weniger als sieben Bitcoin-Transaktionen. 

Es gibt Start-ups, die mit energiefreundlichen Konzepten werben: Schürfen mit Wasserkraft oder mit Servern, die über die Weltmeere schippern, um irgendwo auf dem Globus billige, weil überschüssige Energie abzuzapfen. Was ist davon zu halten?

Nicht viel. Auch Wasserkraft schadet der Umwelt. Die Energie könnte für bessere Dinge verwendet werden, als Bitcoins zu schürfen. Das ist also keine Lösung. Eine andere Möglichkeit ist, das Schürfen so zu verändern, dass es weniger Energie verbraucht. Solange die Miner pro Sekunde fast 16 Trillionen Rechenaufgaben lösen, um damit neue Blocks auf der Kette zu bauen, wird das wohl kaum möglich sein.

Gibt es andere Wege?

Ethereum verbrennt zwar im Moment noch genauso viel Energie wie Bitcoin, weil beide mit dem "Proof-of-work"-Algorithmus arbeiten. Aber Ethereum plant zumindest auf das energiesparende "Proof-of-stake" umzusatteln. Dabei bekommt jeder je nach Dicke seines Geldpolsters einen Wahlzettel, mit dem er über den nächsten Block abstimmen kann. Das spart Elektrizität, macht Miner überflüssig und erhöht die Skalierbarkeit. Diejenigen, die Geld haben, können das System allerdings auch manipulieren. Etherum setzt also Ehrlichkeit voraus. Bitcoins zu schürfen, kostet viel Strom, macht das System aber auch sicher. Diese Probleme müssen die Entwickler lösen. Es gibt Tausende Kryptowährungen. Jede einzelne hat ihren eigenen Algorithmus. Wir warten jetzt nur auf eine Technologie, die dasselbe wie Bitcoin kann, nur sauberer und sicherer.

Der russisch-kanadische Entwickler und Ethereum-Gründer Vitalik Buterin.

Der russisch-kanadische Entwickler und Ethereum-Gründer Vitalik Buterin.

(Foto: Vitalik Buterin/YouTube)

Kennen Sie die Entscheider in der Bitcoin-Community?

Die Bitcoin-Entwickler heute sind dieselben, die bereits in den frühen 90ern unterwegs waren. Diese Typen sind eigentlich so was wie Anarchisten. Sie sehen Kryptographie als Mittel, um Privatsphäre zu schaffen, Regierungen und Staaten aus unserem alltäglichen Leben zurückzudrängen.

Es gab keinen Generationenwechsel? 25 Jahre später treffen immer noch dieselben Leute die Entscheidungen?

Bei Bitcoin definitiv. Bei Ethereum ist es anders. Der Gründer Vitalik Buterin ist Anfang 20. Die Bitcoin-Entwickler sind im Schnitt deutlich älter. Es sind dieselben Leute, die schon die Prototypen für Bitcoin entwickelt haben. Deshalb sind sie auch sehr konservativ. Sie wollen kein Massensystem schaffen. Und hier wird es interessant: Denn nicht jeder ist mit dieser Seite von Bitcoin einverstanden. Ein Teil der Community will den alten Hasen nicht folgen. Diese Leute wollen ein System, das für alle taugt. Genau aus diesem Grund haben wir jetzt Bitcoin und Bitcoin Cash.

Das hört sich an, als hätte Bitcoin den sogenannten First-Mover-Advantage bereits eingebüßt.

Ich glaube, andere Kryptowährungen werden an Bitcoin vorbeiziehen. Bitcoin ist nicht innovativ genug. Nichts zu tun, ist wohl das riskanteste, was man tun kann. Wer nicht effizient ist, läuft Gefahr, zu verschwinden. Ethereum ist viel progressiver als Bitcoin. Hier gibt es den Ehrgeiz, Neuland zu betreten. Allerdings birgt das auch Risiken. Denn Dinge könnten sich anders entwickeln, als geplant. Manche Leute sagen deshalb, dass Bitcoin nichts ändere, sei ein Vorteil, weil man so Planbarkeit für die Zukunft hätte. Aber das muss jeder für sich entscheiden.

Was wird sich 2018 ändern?

Ich denke, es wird auf jeden Fall mehr Regulierung geben. Die Versuche, die Ausgabe neuer Kryptowährungen zu überwachen, sehen wir jetzt schon. Die Zentralbanken sind dran, ihre eigenen Kryptowährungen zu schaffen. In den Niederlanden gab es einen Prozess, wo eine der größten Banken das Konto von einem der größten Bitcoin-Broker gesperrt hat. Wenn so was zur Regel wird, wenn das Bitcoin-System vom klassischen Finanzsystem abgeschnitten wird, wird das zu einem Problem.

Mit Alex de Vries sprach Diana Dittmer

Übersetzung aus dem Englischen von Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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