Wirtschaft

Lösung an die Wand gefahren? "Der Diesel-Fahrer ist der Dumme"

Der jüngste Autogipfel sollte Diesel-Fahrer beruhigen: Hohe Umtauschrabatte und Hardware-Nachrüstungen soll es etwa geben. Doch beim Thema Hardware schalten die Konzerne auf stur. "Sie sind auch Schwachsinn", sagt Autoexperte Becker.

Der jüngste Autogipfel sollte Diesel-Fahrer beruhigen: Hohe Umtauschrabatte und Hardware-Nachrüstungen soll es etwa geben. Doch beim Thema Hardware schalten die Konzerne auf stur. "Sie sind auch Schwachsinn", sagt Autoexperte Helmut Becker im n-tv.de-Interview. Am Ende habe die Politik den Diesel-Fahrer allein gelassen.

n-tv.de: Das letzte Quartal des Jahres begann mit einem weiteren Autogipfel. "Wir geben Diesel- Besitzern eine Perspektive", verkündet Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU. Er verspricht "Entlastung für die Verbraucher" und will mit einem Maßnahmenpaket Fahrverbote für ältere Diesel in deutschen Städten verhindern. Ein Punkt dabei: Rabattaktionen der Hersteller. Ist das der richtige Weg?

Helmut Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker: Ob es der richtige Weg ist, sei einmal dahingestellt. Es ist auf alle Fälle ein Teil des Weges - und der hat zum Ziel, den Diesel-Altbestand, der immerhin bei rund neun Millionen Fahrzeugen hierzulande liegt, möglichst schnell zu reduzieren. Dabei haben alle Beteiligten offensichtlich vor allem ein Ziel vor Augen gehabt: niemandem weh zu tun. Nach dem Motto: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."

Rabatte und Umtauschaktionen sind ja nicht neu, eher ein beliebtes autopolitisches Mittel ...

Vollkommen richtig. In den Jahren der Finanzkrise 2009 hat beispielsweise die staatliche Abwrackprämie dafür gesorgt, dass sich zum einen der Autobestand auf den deutschen Straßen um fast drei Millionen Einheiten deutlich verjüngt hat. Zum anderen blieben die Autohersteller von der Konjunkturkrise dadurch weitestgehend verschont. Von diesen Umtauschprämien profitieren Konzerne, Beschäftigte und Staat über höhere Mehrwertsteuereinnahmen gleichermaßen: Die Neuwagenverkäufe stiegen damals auf einen historischen Höchststand; für den Finanzminister war die Finanzierung der Abwrackprämie damals ein Selbstläufer. Win-Win sozusagen.

Erstmals allerdings spricht die Bundesregierung auch von Hardware-Nachrüstungen. Sie soll es nun geben. Der Haken: Es fehlen die Zusagen der Autokonzerne. BMW will nicht, Daimler zögert noch, VW will nur, wenn alle mitmachen. Also wieder einmal nur heiße Luft aus Berlin beziehungsweise München?

Genauso ist es - Gott sei Dank! Der jetzige Gipfel war ja auch von den anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen getrieben. Dass am Ende nicht viel dabei herumgekommen ist, liegt auch daran, dass die Politik die Autokonzerne nicht zu Hardware-Nachrüstungen zwingen kann. Das liegt daran, dass die Konzerne gesetzeskonform gehandelt haben: Als Euro 3 galt, entsprachen die Motoren dieser Norm, selbiges gilt für Euro 4 und Euro 5. Kurzum: Es gab gesetzliche Vorgaben, und die wurden von der Industrie eingehalten. Jetzt auf einmal politisch Nachbesserungen für Fahrzeuge zu verlangen, die damals gesetzeskonform zugelassen worden sind, ist rechtlich nicht abgedeckt. Politik und Dieselfahrer sind damit auf das Wohlwollen der Autokonzerne angewiesen.

Sind Hardware-Nachrüstungen in dieser Hinsicht überhaupt sinnvoll?

Nein. Geld für Nachbesserungen von Altmotoren auszugeben, halte ich als Ökonom für einen absoluten Schwachsinn. Und ich bin da in guter Gesellschaft, beispielsweise der Uni Karlsruhe oder der RWTH Aachen. Zum einen sind heute die Nachrüstkatalysatoren für den Massenmarkt noch gar nicht entwickelt; das braucht im Minimum zwei Jahre. Zum anderen weiß heute noch keiner, ob die Altmotoren das überhaupt verkraften. Tatsache ist, dass der Verbrauch nachgerüsteter Modelle steigt und dass bei manchen Autos die Nachrüstung den Restwert des Wagens übersteigt.

Die Restwertgeschichte betrifft aber nur die wenigsten. Eine deutlich höhere Anzahl an Diesel-Fahrern besitzt jüngere Modelle, die locker noch 10, 15 Jahre fahren könnten. Er würde bei Umtauschprämien von bisher maximal 10.000 Euro Miese machen. Andererseits: Behält er seinen Diesel, darf er in mehreren deutschen Städten nicht mehr fahren. Können Sie deren Unmut verstehen?

Natürlich. So hart es klingt, aber er hat schlicht und einfach Pech gehabt. Hier gilt es, dass politisch eine Lösung gefunden wird, dass er auch weiterhin in den betroffenen Städten fahren kann. Stichwort: blaue Plakette. Mit ihr könnte überall gefahren werden. Wer keine hat, muss in den Städten mit Fahrverbot auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen, zumindest bleibt das Auto dann draußen. Oder zahlt eine Verschmutzungs-City-Maut als Einfahrgebühr. Überlegenswert wäre dann, wer für das Tages- oder Monatsticket aufkommt: Arbeitgeber, Staat, gemeinsame Lösungen. Man kauft also eine Art Emissionsrecht: Wenn ich mit meinem schmutzigen Diesel in die Stadt fahren muss, bezahle ich eine Summe X. Punktum! London ist hier das Beispiel.

Anderes Beispiel: Ein Smart-Diesel, Euro 5, ist von einem Fahrverbot betroffen. Ein Benziner-SUV à la Q7, X5 und so weiter darf dagegen problemlos in jeder Stadt fahren. Vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung, Klimazielen und CO2-Emissionsdebatte ist das doch absolut hanebüchen...

Man könnte das Beispiel sogar noch so abändern, dass ein Smart-Fahrer sein "altes" Auto via Umtauschprämie gegen einen Benziner-Groß-SUV eintauschen könnte. Womit die Emissionsbelastung dann auch noch steigen würde. Daran sieht man, dass das Maßnahmenpaket des jetzigen Autogipfels noch lange nicht das Gelbe vom Ei ist. Schlimmer noch: Das ist ein faules Ei!

Sie rechnen mit weiteren Autogipfeln?

Absolut. Nach den Landtagswahlen ist der Druck bei der Politik zwar erst einmal etwas raus, aber in meinen Augen bleibt das Thema auf der Agenda, wobei ich bereits jetzt sagen kann: Es kann und wird keine gerechte Lösung für alle geben.

Gibt es denn schon den "sauberen" Diesel?

Den gibt es durchaus als Euro 6d-Temp, weshalb ich den von vielen Seiten proklamierten Tod des Diesels auch nicht nachvollziehen kann. BMW und Daimler haben ihn schon im Programm. Noch nicht sehr lange, zugegeben, und auch bisher nur in den Top-Modellen. Aber es gibt sie. Bis sie aber auch in den Volumenmodellen zum Einsatz kommen, dürften noch ein paar Jahre ins Land gehen, weil die Motoren darauf hin neu entwickelt beziehungsweise angepasst werden müssen.  Zur Erinnerung: Euro-5-Diesel waren darauf ausgelegt, die CO2-Emission der Flotte zu reduzieren, sie waren nicht auf NOX-Minimierung getrimmt. Die neuen Diesel der Euro-6d-Temp-Norm sind es. Und das Thema CO2-Emission bleibt uns die kommenden Jahre, wenn "die Diesel-Sau am Dorfende" angekommen ist, noch erhalten.

Wenn es Hardware-Nachrüstungen gäbe, könnten die deutschen Autohersteller diese finanziell überhaupt stemmen?

Das ist ein theoretisches Fall, denn es wird in meinen Augen keine verpflichtenden Hardware-Nachrüstungen geben. Aber: Mal abgesehen vom Gejammer der Konzerncontroller, würden sie weder für BMW noch Daimler oder auch VW ein ernsthaftes Problem darstellen. Wenn VW in den USA mal so eben rund 25 Milliarden locker machen kann für Strafzahlungen und so weiter, dürfte eine einstellige Milliardensumme doch wohl noch zu finanzieren sein. Aber wie gesagt: Hardware-Nachrüstungen sind ökonomischer, ökologischer und technischer Schwachsinn!

Dass die Konzerne Milliardensummen stemmen könnten, liegt auch an dem nach wie vor guten konjunkturellen Umfeld ...

Richtig, die Autokonjunktur gibt es ja auch noch. Das stimmt, wobei der Autoabsatz in Deutschland seinen Zenit überschritten hat. Das gilt auch für den US-Markt - aber alles maßvoll, weil das gesamtwirtschaftliche Umfeld intakt ist und es keine allgemeine Rezession gibt. In Großbritannien schlägt der anstehende Brexit ins Kontor. Dennoch: In Europa ziehen die Südländer und die Ostländer, die nach wie vor Nachholpotenzial haben, die Verkaufszahlen nach oben, sodass der europäische Gesamtmarkt 2018 leicht wachsen wird. 2019 liegt im Nebel, seriöse Prognosen sind kaum möglich.

Treibende Kraft für den Weltmarkt bleibt China?

China war, ist und bleibt Wachstumstreiber des Weltmarkts. In diesem Jahr werden dort rund 26 Millionen Neufahrzeuge verkauft. Das ist und bleibt mit mehr als einem Drittel des globalen Marktes Weltspitze. Übrigens gilt das auch für Elektroautos. 2017 wurden im Reich der Mitte 26 Millionen Verbrenner-Autos zugelassen und 160.000 Elektroautos, immerhin rund die Hälfte aller auf der Welt verkauften Stromer. Na ja, man sieht an den nackten Zahlen, dass der in den Medien hochgejubelte Siegeszug des Elektroautos, den die deutschen Hersteller angeblich verschlafen haben, wohl noch ein kleines Weilchen auf sich warten lässt.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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