Wirtschaft

"Elektrisierte" Sanierung Diese vier Maßnahmen sollen Opel fit machen

Hundert Tage Schonfrist sind vorbei, die Opel-Führung muss liefern. Wie will die neue PSA-Tochter möglichst schnell in die schwarzen Zahlen? Mit Entlassungen? Mit Werksschließungen? Oder vielleicht mit neuer Struktur und Zukunftstechnik?

Der 9. November 2017 wird als Schicksalstag in die Annalen von Opel eingehen. Nach nur 100 Tagen unter dem Dach des neuen und strengen französischen Eigentümers PSA (Peugeot/Citroën) musste Opel-Chef Michael Lohscheller seinem rennsportbegeisterten PSA-Vorgesetzten Carlos Alvares, den 38.000 Opel/Vauxhall-Mitarbeitern und der Öffentlichkeit einen schlüssigen Sanierungsplan präsentieren. Darin war präzise aufgeführt, wann und wie der neue Opel-Chef den hochdefizitären Automobilhersteller so schnell wie möglich in die Gewinnzone bringen will - nach fast 20 Jahren ununterbrochener Verluste als GM-Tochter. Die Verluste in dieser Zeit beliefen sich nach Berechnung von PSA auf 19 Milliarden Euro.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Am Rande vermerkt: Dieses Kunststück hat zuvor unter staatlicher Regie nur der englische Autobauer Britisch Leyland/Rover fertiggebracht, der seit Konstitution 1966 bis zur Übernahme durch BMW 1994 komfortabel auf Kosten der britischen Steuerzahler vor sich hin wurstelte und nie Gewinne gemacht hatte.

Mit welchen Maßnahmen will der Opel-Chef Lohscheller den Autobauer in die schwarzen Zahlen führen? Was sieht der Sanierungsplan vor?

Markige Worte

Kernpunkt des Sanierungsplans ist der Aufbruch zu neuen Ufern, eine umfassende Umstrukturierung des gesamten Rüsselsheimer Konzerns. "Veränderungen müssen an der Spitze beginnen! ... Die Treppe wird von oben geputzt", so Lohscheller.

Markige Worte, aber auch notwendig, wenn Opel wie geplant innerhalb von nur sechs Jahren seine komplette GM-Vergangenheit hinter sich lassen will. Dafür werden ad hoc zwei bereits noch auf GM-Technik geplante Modelle in Rüsselsheim und Eisenach durch neue Projekte auf PSA-Plattformen ersetzt.

Priorität Nummer eins hat die Umwandlung von Opel in ein profitables Unternehmen, nach Vorgabe von PSA-Chef Carlos Tavares, selbst aktiver Rennsportfan, mit "pace", also mit Hochgeschwindigkeit. Bereits 2020 soll eine operative Marge von zwei Prozent erreicht werden, bis 2026 soll dieser Wert auf sechs Prozent steigen. Und damit in die Nähe der Gewinnmarge des Mutterkonzerns PSA von sieben Prozent gelangen, der bei Übernahme des Fahrersitzes durch Tavares 2013 vor der Insolvenz stand. Zwischen 2012 bis 2014 hatte es PSA auf Verluste von über acht Milliarden Euro gebracht.

Tavares hat diesen Turnaround innerhalb von nur drei Jahren durch ein beispielloses Kostensenkungsprogramm geschafft, etwa durch Schließung eines Werkes, Straffung der Modellpalette, Verschlankung der Organisation und durch den Abbau von 28.000 Arbeitsplätzen - und das in Frankreich!

1. Kosten in den Griff kriegen

Opel kommt dabei aber zugute, dass es nach der Schließung von Bochum nur noch über drei Werke verfügt, von denen eines bei Stilllegung die gesamte Unternehmenstruktur ins Wanken brächte. Und dass betriebsbedingte Kündigungen bis 2018 ausgeschlossen sind. Danach ist alles offen, Tavares hat eine Verlängerung der Garantie ausdrücklich abgelehnt, für ihn sichert nur Leistung Arbeitsplätze.

Tavares hat bei einem Werksbesuch bei Opel festgestellt, dass die Produktion in französischen Werken um 50 Prozent effizienter sei. Die Kosten pro hergestelltes Auto sollen bei Opel um 700 Euro sinken, so dass bereits bei 800.000 Auto die Gewinnzone erreicht wird. Heute macht Opel noch bei 1,2  Millionen Autos Absatz hohe Verluste.

Gleichzeitig soll die Produktpalette gestrafft werden, auch um Überschneidungen mit der PSA-Palette im unteren Fahrzeugsegment zu beseitigen. Der Ampera-e, ohnehin unverkäuflich, wird ganz eingestellt. Durch eine kostengünstigere Produktion sowie einen gemeinsamen Einkauf will Opel/Vauxhall bis 2020 jährlich 1,1 Milliarden Euro Kosten einsparen. Danach mit Übergang zu einheitlichen Plattformen à la VW sogar 1,7 Milliarden.

2. E-Offensive

Neben einem forcierten Technologiewechsel von GM auf PSA soll Opel zum Zentrum einer E-Offensive des neuen Konzerns werden. Opel wird elektrisch. Im Jahre 2020 will Opel mit PSA-Technologie bereits vier Elektro-Modelle inklusive des neuen Corsa auf den Markt bringen, 2024 soll jedes Modell in E-Variante angeboten werden. Jedes neue Opel Modell soll "homemade" im Rüsselsheimer Entwicklungszentrum geplant werden.

Vor allem: Opel soll jetzt alternative Antrieb für den Gesamtkonzern entwickeln, bei GM war das untersagt. Und GM selber hatte in Bezug auf CO2-arme Antrieb nichts zu bieten. Anders PSA, die über eine klare CO2-Strategie verfolgen - wenn auch aufgrund der Priorität der eigenen Sanierung ziemlich spät. Aber besser spät als nie!

3. Exportoffensive

Auch der Vertrieb von Opel erfährt eine nachhaltige Veränderung. Er wird von "der GM-Leine gelassen". Geplant ist eine Exportoffensive, wonach bis 2020 rund 20 neue Märkte erschlossen werden sollen, darunter in Arabien, Afrika und Südamerika. Der Gang nach China und Brasilien wird geprüft.

Obwohl angesichts einer "verteilten" Autowelt im 21. Jahrhundert jede Erschließung eines neuen Marktes für jeden New- oder besser Latecomer Verdrängungswettbewerb bedeutet und entsprechend mühsam und kostspielig ist, signalisiert das doch für die Belegschaft Aufbruch und Siegerwillen. Und das hat die Mannschaft dringend nötig! Entsprechend positiv steht der Betriebsrat der Umstrukturierung auch gegenüber.

4. Qualitätsoffensive

Mit einer Qualitätsoffensive will Lohscheller dem heutigen Preisverfall der Marke und der Qualität entgegenwirken. Heute verkauft Opel über die Hälfte seiner Autos über Eigenzulassungen und hohe Rabatte. Das soll rasch beendet werden.

Die entscheidende Frage

Hat dieser Sanierungsplan eine Chance auf Erfolg? Antwort: Die Übernahme durch PSA ist das Beste, was Opel/Vauxhall passieren konnte. Grund: PSA-Chef Tavares ist germanophil und von der deutschen Qualität und Automobiltechnik durchaus begeistert. Er möchte Opel nicht entkernen und zur reinen Fabrikstätte degradieren, sondern die Eigenständigkeit der Marke erhalten, weiterentwickeln und für PSA von den deutschen Fertigkeiten und technischem Know-how profitieren. Tavares möchte Opel und seine "germaness" erhalten, nicht "frankphonisieren": "Opel soll noch deutscher werden!“

Die Marken-Kannibalisierung zwischen Opel und PSA schätzt Tavares gering ein. Opel erhält so erstmals eine echte Chance, sich selbständig, mit französischer Rückendeckung und Kapital im Rücken, frei auf eigen Füße zu stellen. Voraussetzung: Die Belegschaft und das Management ziehen mit Disziplin und Begeisterung mit. Tavares beklagt zwar eindringlich zu viel Verschwendung heute bei PSA und Opel, weiß aber sehr genau: "Unternehmen saniert man nicht nur über Kostensenkung!"

Was für ihn allein zählt, ist Leistung, angefangen beim Management bis hin zu den Belegschaften. "Nur Leistung schützt das Unternehmen und die Arbeitsplätze. Größe kommt als Belohnung, wenn man Leistung erbringt."

Was bleibt?

Tavares: "Es besteht kein Zweifel daran, der Status Quo ist keine Option!" Opel und die Opelaner stehen mit dem Rücken zur Wand, die Übernahm durch PSA war die letzte Patrone im Colt. "Die Geschäftsführer hier müssen verstehen, dass sie das Geschäft wirklich führen müssen … Und sagen wir es klar: Opel ist in einer dramatischen Situation!", sagt Tavares.

Und die Opelaner wissen das. Und werden entsprechend positiv auf diese Chance reagieren und mitziehen. Denn: Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Sobald die ersten Erfolge sich einstellen, wird die Sanierung zum Selbstläufer!

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen