Wirtschaft

Interview zum Infinus-Urteil "Eine Niederlage für den Rechtsstaat"

Die Richter am Landgericht Dresden vor der Urteilsverkündung im Prozess um den Infinus-Skandal.

Die Richter am Landgericht Dresden vor der Urteilsverkündung im Prozess um den Infinus-Skandal.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nach drei langen Prozessjahren hat die Staatsanwaltschaft in Dresden den umstrittenen Anlegerprozess gegen fünf ehemalige Manager des Finanzdienstleisters Infinus gewonnen. Für den Sachverständigen und Anwalt Lambertus Fuhrmann gibt es keinen Grund zu triumphieren: "Die Justiz ist übers Ziel hinausgeschossen", sagt er n-tv.de. Die Kollateralschäden für die Anleger seien "unverhältnismäßig und vermeidbar" gewesen. "So ahndet man nicht Anlegerbetrug."

n-tv.de: Sie waren im Strafprozess Sachverständiger des Hauptbeschuldigten Jörg Biehl. Haben Sie dieses Urteil erwartet?

Lambertus Fuhrmann: Ich hatte schon im Mai 2018, als ich in dem Strafprozess ausgesagt habe, den Eindruck, der Vorsitzende hätte seinen Urteilsspruch im Kopf bereits geschrieben. Was sich in der Verhandlung während meiner Anhörung abspielte, war eine Farce.

Infinus-Prozess

Der Prozess gegen den Dresdner Finanzdienstleister Infinus ist einer der strittigsten Wirtschaftskriminalfälle, die Deutschland je gesehen hat. Gründer und Ex-Führungskräfte von Infinus wurden am Montag nach drei Prozessjahren vor dem Landgericht Dresden wegen gewerbsmäßigen Banden- und Kapitalanlagebetrugs zu Freiheitsstrafen verurteilt. Laut Anklage sollen die Führungskräfte bis Ende 2013 über ein Firmengeflecht unter anderem Schuldverschreibungen und Genussscheine vertrieben haben, deren hohe Renditeversprechen nur mit dem Geld immer neuer Anleger bedient werden konnten. Luftgeschäfte zwischen den einzelnen Firmen dienten dazu, das "Schneeballsystem" zu verschleiern. Mindestens 20.000 Anleger sollen so um rund 312 Millionen Euro betrogen worden sein.

In Ihren Augen ist es also kein Sieg für den Anlegerschutz und für den Finanzplatz Deutschland?

Infinus ist kein sehr glücklicher Fall für den Finanzplatz Deutschland, weil die Anklage und die Verurteilung meines Wissens nach im Wesentlichen auf einem Gutachten nebst mehreren Ergänzungsgutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte fußen, die in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft sind. Erstens wurden bei der Frage, ob das Infinus-Geschäftsmodell tragfähig sei, Aufwandspositionen - nämlich Zinsen für Genussrechte und ertragsabhängige Steuern - berücksichtigt, die eigentlich nur dann entstehen, wenn überhaupt Gewinne erzielt werden. Die Gutachter haben indessen eine dauerhafte Verlustsituation bei Infinus unterstellt, so dass diese beiden Positionen also gar nicht hätten berücksichtigt werden dürfen. Diese zu Unrecht berücksichtigten Positionen machen in dem Gutachten knapp 50 Prozent der gesamten unterstellten Unterdeckung aus. Zweitens setzt sich das Gutachten überhaupt nicht mit der Frage auseinander, ob die Geschäftsführung von Infinus damals - zur Zeit der Razzia - vielleicht einen Turnaround schaffen wollte. Vielleicht wollte sie ja die eingeworbenen Anlegergelder gewinnbringender anlegen und Genussrechte und andere Papiere mit einer geringeren Verzinsung herausbringen, als bis dahin geschehen. Diese zwei Fehler machen das Gutachten aus unserer Sicht unbrauchbar. Ich sehe das Eingreifen der Justiz im November 2013 deshalb extrem kritisch.

Das Timing hat in diesem Prozess eine sehr große Rolle gespielt. Viele geschädigte Anleger werfen der Staatsanwaltschaft Übereifer vor. Warum?

Die Staatsanwaltschaft will größeren Schaden verhindert haben. Anleger argumentieren dagegen, die Justiz habe den Schaden erst verursacht.

Die Staatsanwaltschaft will größeren Schaden verhindert haben. Anleger argumentieren dagegen, die Justiz habe den Schaden erst verursacht.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Justiz ist völlig übers Ziel hinausgeschossen. Wenn die Staatsanwaltschaft Zweifel an der Tragfähigkeit des Geschäftsmodells hatte, dann hätte sie die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin einschalten müssen. Die Finanzaufseher hätten reagieren und zum Beispiel einen kommissarischen Geschäftsleiter einsetzen müssen, der das Unternehmen nach entsprechender Prüfung gegebenenfalls geordnet abgewickelt hätte. Das ist etwas ganz anderes als ein Insolvenzverfahren, zu dem es dann ja unmittelbar nach dem Eingreifen der Staatsanwaltschaft gekommen ist. Mutmaßlichen Anlegerbetrug kann man nicht dadurch ahnden, dass man Anlegergelder vernichtet und Unternehmen in den Ruin treibt. Gegenbeispiel: Die Deutsche Bank stand einmal unter dem Verdacht, mit Emissionszertifikaten Schindluder getrieben zu haben. Daraufhin gab es Durchsuchungen und Festnahmen. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb aber nicht die ganze Deutsche Bank stillgelegt. Sie hätte auch hier die Infinus-Gruppe durchsuchen, Prüfer hinschicken oder einzelne Personen bei Fluchtgefahr festnehmen können. Sie musste doch aber nicht die ganze Firma zerschlagen.

Neben dem Strafprozess gibt es noch Hunderte zivilrechtlicher Verfahren von Geschädigten. Worin unterscheiden sich die Verfahren?

Lambertus Fuhrmann

Lambertus Fuhrmann

(Foto: Lambertus Fuhrmann, FGS)

Die Stoßrichtungen dieser Zivilverfahren sind andere. Im Strafverfahren wird versucht, den Angeklagten den Vorwurf des Prospektbetrugs nachzuweisen. Es wird angenommen, dass sie im Anlegerprospekt Renditen und Dinge versprochen haben, die nicht einzuhalten waren. Im Zivilprozess dagegen sagen die Insolvenzverwalter, die Jahresabschlüsse 2009 bis 2012 seien nicht korrekt gewesen. Weil die Unternehmensgruppe aus Sicht der Insolvenzverwalter Verluste schrieb, betrachten sie die ausgeschütteten Gewinne als "Scheingewinne" - und fordern diese von den Anlegern zurück.

Ist das gerechtfertigt?

Nein, diese Gewinne müssen nicht zurückgezahlt werden. Erstens sind die zugrundeliegenden Jahresabschlüsse - wie bereits erwähnt - aus unserer Sicht nicht nichtig. Zweitens wusste der Vorstand damals nicht, dass die Jahresabschlüsse hätten nichtig sein können, immerhin waren sie von einem Wirtschaftsprüfer geprüft und uneingeschränkt testiert. Beides sind aber Voraussetzungen des Bundesgerichtshofs, damit ein Insolvenzverwalter Scheingewinne zurückfordern kann.

Lambertus Fuhrmann, Rechtsanwalt

Lambertus Fuhrmann ist Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg (FGS). Im Strafprozess Infinus war er Sachverständiger des Hauptbeschuldigten Jörg Biehl. Die Kanzlei berät die gemeinnützige Interessengesellschaft Infinus (IG Infinus) und verteidigt etliche Anleger gegen zivilrechtliche Anfechtungsklagen der Insolvenzverwalter Kübler und Scheffler.

Die Insolvenzverwalter arbeiten also nicht korrekt?

Wir halten die Vorgehensweise für hochgradig problematisch. Aus zwei Gründen: Erstens wird Geld zurückgeholt, das anschließend wieder an dieselben Personen - in Form höherer Insolvenzquoten - verteilt werden muss. Zweitens darf ein Insolvenzverwalter nur dann klagen, wenn überwiegend Erfolgsaussichten bestehen. Der Insolvenzverwalter hätte sich mit drei oder vier Anfechtungsschuldnern darauf verständigen müssen, Musterverfahren zu führen. Hätte er diese Musterverfahren gewonnen, wäre es vertretbar gewesen, diese Massenklagen - ich glaube, es sind über 5000 - zu erheben. So wie es jetzt geschieht, ist es indessen schlichtweg unvertretbar. Zumal schon sehr viele Landgerichte quer durch die Republik gesagt haben, dass sie diese Klagen für unbegründet halten.

Ein Sparer hat berichtet, er müsse rund 6000 Euro an einen Insolvenzverwalter zurückzahlen. Als er diesen wissen ließ, dass er den Betrag nicht habe, erhielt er angeblich die Antwort, die Hälfte des Geldes genüge. Wie ist das zu verstehen?

Das Angebot ist völlig unlogisch. Ein Vergleichsangebot macht dort Sinn, wo über eine Schadenshöhe gestritten wird. Wenn es zum Beispiel auf einer Straßenkreuzung zu einem Auffahrunfall kommt und man nicht weiß, ob das Auto schon vorher Beulen hatte. Dann streitet man sich über die tatsächliche Schadenshöhe und die Parteien treffen sich irgendwo in der Mitte. Im Fall von Infinus liegt der Fall aber anders: Entweder der Anfechtungsschuldner muss zurückzahlen oder er muss es nicht. Sich jetzt in der Mitte zu treffen, macht keinen Sinn. Es ist auch es ein starkes Indiz dafür, dass der Insolvenzverwalter seinen Anfechtungsklagen 50 Prozent oder weniger an Erfolgsaussichten einräumt. Und das wiederum bedeutet eine "rote Flagge", denn der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Insolvenzverwalter gar nicht klagen darf, wenn die Erfolgsaussichten unter 50 Prozent sind. Auch die mangelnde Zahlungsfähigkeit eines Anlegers spricht gegen einen Prozess.

Was bedeutet das für den Rechtsstaat und für das Bemühen um besseren Anlegerschutz?

Es ist eine Niederlage für den Finanzplatz Deutschland und für den Rechtsstaat. Ob im konkreten Fall den Anlegern damals nicht wirklich viel zu weit gehende Versprechungen gemacht wurden, bzw. ob die Verurteilung wegen Betrugs zurecht erfolgte, dazu möchte ich nichts sagen, weil es nicht Gegenstand unseres Prüfungsauftrags war. Aber die Kollateralschäden, die durch die Strafverfolgung verursacht wurden, halte ich für völlig unverhältnismäßig. Und ich halte sie auch für vermeidbar. Ich bin sicher, dass man durch einen geordneten Rückzug - wenn er erforderlich gewesen wäre - eine Rückzahlungsquote für die Anleger von 80 bis 90 Prozent hätte erzielen können. So wird es am Ende 20 Prozent sein. Der Rest wird gerade von den Insolvenzverwaltern verprozessiert und zum Fenster rausgeworfen.

Ihr Rat an die betroffenen Anleger?

Auf keinen Fall irgendwelche Vergleiche mit den Insolvenzverwaltern eingehen, sondern sich verklagen lassen. Die Erfolgsaussichten sind gut.

Mit Lambertus Fuhrmann sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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